Was für eine Zumutung!
Ein Kolumnist muss warten, bis er an der Reihe is

Von Ulli Diemer


Die National Post ist eine Zeitung, die ihre Seiten nicht mit Nachrichten, sondern mit dem Murren von rechten Miesepetern füllt. Die Autoren dieser Zeitung haben niemals genug davon, diese bösartige, sozialistische Verschwörung namens "Medicare" (Krankenversicherung) anzugreifen. Ein kürzlich erschienener weinerlicher Beitrag, verfasst von Kolumnist Jonathan Kay, verkörpert das Genre des "Schreckens der sozialisierten Medizin".

Diese spezielle Horrorgeschichte, die Kay seinen "Konflikt mit dem System" nennt, beginnt mit seinem Ankommen in der Notaufnahme seines örtlichen Krankenhauses in Toronto mit einem infizierten Knie. Sein linkes Knie bereitete ihm Schwierigkeiten, wie er uns erzählt, und bestätigte zweifellos seinen Glauben, dass alles auf der linken Seite unzuverlässig und störend ist. Das ineffiziente sozialistische Gesundheitssystem schickt ihn nach nur zehn Minuten schon in die Untersuchung - nicht schlecht, würden einige von uns sagen - aber es bedarf mehr als nur Effizienz und qualitativ gute Versorgung, um einen Kolumnisten der National Post zufriedenzustellen. Kurz darauf liegt er in einem Bett des öffentlichen Krankenhauses, während Clindamycin durch Infusionen in seine Venen fliest, und Gedanken darüber, wie viel besser ein Bett in einem privaten Krankenhaus wäre, seinen Kopf fluteten.

Am nächsten Tag ging Herr Kay für eine Nachbehandlung erneut ins Krankenhaus. Diesmal - der Schrecken - muss er sich tatsächlich setzen und warten, bis er von einem Arzt untersucht wird. In der Tat teilt er uns mit, dass "alle, außer die dringlichsten Fälle" sich hinsetzen und warten mussten. Auch wenn es schwer zu begreifen ist, gibt es keine spezielle Warteschlange für die Wohlhabenden und Privilegierten, nicht einmal, wenn sie Kolumnisten der National Post sind. Also nihmt Herr Kay Platz und schäumt vor Wut. Dennoch verspürt er Mitleid für andere, beispielsweise für die Krankenschwester, deren Fähigkeiten, wie er behauptet, an der Arbeit mit "griesgrämigen Migranten und wahnsinnigen Rentnern" vergeudet wird.

Wenn wir doch nur eine private Krankenversicherung hätten, stöhnte er, "dann könnten Menschen aus der Mittelschicht wie ich für eine zügige Behandlung zahlen und danach den Rest ihres Tages auf der Arbeit oder mit ihrer Familie verbringen, statt einen Stephen King Roman zu lesen und in den Wartezimmern von Krankenhäusern die Bakterien anderer Menschen einzuatmen". Wenn wir doch nur private Dienstleistungen in der Notaufnahme hätten, dann "würden Menschen mit etwas mehr Geld ihre Visa Karte herausnehmen und eine schnelle, würdevolle Versorgung erhalten".

Lasst die Menschen, die keine schnelle, würdevolle Versorgung gewährleisten können - also die Menschen, die nicht der Mittelschicht angehören, und nicht "etwas mehr Geld besitzen", die "griesgrämigen Migranten und wahnsinnigen Rentner" - lasst sie ihre Zeit damit verbringen, die Bakterien anderer Menschen einzuatmen. Menschen wie sie haben sicherlich keine Familien, mit denen sie in dem Moment lieber zusammen wären, oder andere Dinge zu tun.

Zufälligerweise begleitete ich in derselben Woche, in der Herr Kay die Notaufnahme besuchte, meine Mutter in eine andere Notaufnahme in derselben Stadt, da sie wegen einer Infektion eingewiesen wurde. Meine Mutter ist einer dieser Menschen - eine Migrantin und eine Rentnerin - die Herr Kay gerne zur Seite schubsen würde, damit er seine Kreditkarte herausnehmen und einen schnelle, würdevolle Versorgung bekommt.

Aber hier sind die schockierenden Nachrichten für Herr Kay: die meisten Kanadier sind der Meinung, dass Migranten wie meine Mutter und mir, und Rentner, und arme Menschen genau so sehr das Recht auf schnelle, würdevolle Gesundheitsversorgung haben wie die, die wie er selbst, wohlhabend sind. Die Annahme einiger Menschen, dass nicht derjenige, der den dringendsten Bedarf hat, zuerst gesundheitliche Versorgung enthalten sollte, sondern derjenige mit dem dicksten Geldbeutel, entsetzt uns abgrundtief.

Die meisten Kanadier sind sich bewusst: der Vorwand, private Einrichtungen würden das öffentliche System entlasten, ist bloß ein Schwindel, um zu verheimlichen, dass ein zweistufiges System eine bessere Versorgung für die Reichen bedeuten würde, und kaum oder nur schlechte Versorgung für alle anderen. Es ist offensichtlich, dass private Kliniken dem Gesundheitssystem keine einzige Krankenschwester, keinen Techniker und keinen Arzt hinzufügen. Stattdessen stehlen sie diese vom öffentlichen System, indem sie ihnen mehr Geld anbieten. Es ist ein Nullsummenspiel, in dem die Reichen gewinnen und die Armen verlieren.

Wenn Herr Kay sich eine schnellere Versorgung kaufen kann, indem er seine Kreditkarte oder einen Bündel aus 20-Dollar-Scheinen wedelt, dann wird meine Mutter länger für ihre Versorgung warten müssen.

Nein danke, Herr Kay.

Ulli Diemer
26/1//2006



Originaltext in englischer Sprache. Deutsche Übersetzung von Hamna Takhmir.


Ulli Diemer
Contact