Kollektives Gedächtnis und kulturelle Amnesie


Unsere Gesellschaft ist besessen von der kurzzeitigen Gegenwart. Durch sie verlieren Erinnerungen und die Vergangenheit an Wert. Dies ist das Wesen vom Kapitalismus, vor allem vom beschleunigten Hyperkapitalismus unserer Zeit. Die Vergangenheit ist nutzlos: Gewinne werden erzielt, indem das Alte entsorgt und durch etwas Neuem ersetzt wird.

Zweifellos betrifft dies Rohstoffe, die wie Marx uns lehrte, sowohl der Inbegriff von Wert im Kapitalismus sind als auch die Verkörperung der kapitalistischen Werte. Rohstoffe, unabhängig davon, ob sie eine physikalische Form einnehmen, müssen zerstört oder überflüssig gemacht werden, damit neue Rohstoffe verkauft werden können.

Das Bedürfnis, die Vergangenheit zu überschatten, betrifft auch Lebensweisen. Zum Zweck der erhöhten Gewinne, müssen stabile Arbeitsplätze beseitigt und mit prekären Arbeitsplätzen ersetzt werden. Gewerkschaften müssen erdrückt und nach Möglichkeit vernichtet werden. Landwirten, die der traditionellen Landwirtschaft nachgehen, müssen der industriellen Landwirtschaft nachgeben, oder werden von ihrem Land vertrieben. Kultur muss wie ein Produkt verpackt werden, damit es gekauft und vermarktet werden kann.

Dieses endlose Unternehmen des Social Engineering ist am effektivsten, wenn es gelingt, dass Menschen vergessen, dass die Dinge in der Vergangenheit anders waren. Es wäre gefährlich, wenn das kollektive Gedächtnis sich an Phänomene erinnert, wie z.B. gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze mit Vorzügen; Luft, die das Atmen nicht erschwerte sowie Wasser, dass man trinken konnte, ohne daran zu vergiften; Zeiten, in denen man sein Leben lebte, ohne von der Regierung und Unternehmen ausspioniert zu werden. Es ist am besten, wenn die Menschen vergessen, dass es all dies einmal gab.

Noch gefährlicher ist es, wenn das kollektive Gedächtnis sich an Widerstände erinnert. Dies waren Zeiten, in denen Menschen zusammenkamen und für ihre Rechte kämpften - manchmal gewannen sie, manchmal verlierten sie. Allein die Ahnung davon, dass die Dinge in der Vergangenheit anders waren und daher auch in der Zukunft anders sein können, ist gefährlich, weil sie Menschen auf gefährliche Ideen bringt.

Die offizielle Gesellschaft und die Mainstream Medien, führen ihre tägliche Arbeit, die darin besteht, soziale Amnesie voranzutreiben, eifrig fort. Sie fokussieren sich auf die Gegenwart und dem Belanglosen, während sie die Vergangenheit durch Verdrehung oder Vernachlässigung auslöschen. Gewiss haben weder die Medien noch die Regierung Interesse daran, dass Menschen sich an die Lügen erinnern, die genutzt wurden, um vergangene Kriege und vergangene Verbrechen zu rechtfertigen. Wiederverwertete Lügen (inklusive Versprechen von einer besseren Zukunft) sind am effektivsten, wenn Menschen sich nicht daran erinnern, wie oft diese falschen Märchen bereits erzählt wurden.

Aber es gibt Menschen, die sich dennoch daran erinnern und daran arbeiten, unser kollektives Gedächtnis zu bewahren und zu teilen. Sie tun dies aus unterschiedlichen Gründen, an unterschiedlichen Orten.

Manchmal ist der Antrieb Nationalismus oder Rassismus. Diejenigen, die auf erobertem oder gestohlenem Land leben, machen sich selten die Mühe, sich daran zu erinnern, wie sie das Land erlangten. Stattdessen ziehen sie dem kollektiven Gedächtnis die kollektiven Mythen vor.

Aber sie müssen sich mit dem kollektiven Gedächtnis von jenen auseinandersetzen, die vertrieben wurden. Von Kanada nach Palästina, von Südsudan nach Myanmar arbeiten Menschen daran, ihre Geschichten zu dokumentieren und die Aufmersamkeit der Welt auf sie zu lenken. In solchen Fällen, und anderen, ist der brennende Antrieb die Wahrheit: zu berichten, was mit uns geschah.

Andere Initiativen und Projekte, unter anderem Connexions selbst, sehen historische Erinnerungen als Weg, dazu beizutragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Für uns ist das Wissen über Geschichte subversiv und das Erinnern sehen wir als eine Form des Widerstands. Um zu verstehen, wie wir die Gesellschaft verändern können, müssen wir sie zunächst verstehen. Das heißt, zu verstehen, wo sie - wo wir - herkommen.

Wenn wir mehr über diejenigen, die vor uns lebten und kämpften, wissen und verstehen, können wir ein tiefgreifendes Verständnis dafür erlangen, wie wir am besten leben und kämpfen können.

Connexions teilt viele Geschichten über dieAnstrengungen von einigen Menschen, die das kollektive Gedächtnis als eine Form des Widerstands nutzen und es zum Einsatz bringen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auf der Connexions Webseite sind viele Beiträge zu diesem Thema sowie Links zu anderen Webseiten, die über verschiedene Materialien auf verschiedenen Sprachen verfügen, zu finden.