Information to change the world | |
Find Topics, Titles, Names related to your query |
|
Massaker und MoralSeitdem es Staaten und Armeen gibt, gibt es auch Massaker. In den vorangegangenen Jahrhunderten wurden diese als genau das betrachtet, was sie sind: Terrorakte gegen diejenigen, die ihren Herrschern oder Eroberern widerstehen oder die ihnen in der Zukunft wahrscheinlich widerstehen würden. Terrorismus wurde von allen als das verstanden, was ein Staat unternimmt, um die unterdrückten Bevölkerungen, sowohl zuhause als auch im Ausland, im Zaum zu halten. Jedoch ist es in der modernen Ära so, dass die Herrscher von Kolonialmächten mit Herausforderungen der Arbeiterklasse in ihren eigenen Ländern konfrontiert waren. Zu diesen gehörte das Streben nach Demokratie, während sie zur selben Zeit in den kolonialisterten Ländern den Widerstand niederschlagen mussten. Demokratie wurde als schreckliche Bedrohung betrachtet, sogar in ihrer beschränkten parlamentarischen Form. Die britische Führungsschicht hat nie vergessen, dass das Parlament König Charles I. im Jahr 1649 hingerichtet hatte. Die Franzosen haben nie vergessen, dass die Revolution Louis XI in 1793 geköpft hatte. In dieser neuen und gefährlichen Welt wurde es für die Machthaber zunehmend wichtiger, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wenn den Menschen erlaubt sein sollte, wählen zu gehen, dann mussten sie von der Legitimität des bestehenden Sozialsystems überzeugt werden. Ideologien und Propaganda eignen sich dafür besser als direkte Gewalt. Im Kontext des Kolonialismus wurde der Öffentlichkeit zuhause sowie den Soldaten und Offizieren, die den Kolonien ihre Herrschaft aufzwangen, erklärt, dass ihre Handlungen, so brutal wie sie auch waren, dem Zweck dienten, die westlichen Werte und die westliche Zivilisation zu verteidigen. In den Kolonien selbst war es sinnvoll, zumindest die Eliten davon zu überzeugen, dass auch sie von der kolonialen Herrschaft profitieren würden, da sie ihnen schließlich die Vorzüge der westlichen Zivilisation brachte. Das Problem mit Propaganda ist jedoch, dass sie oft vollkommen im Widerspruch zur Realität steht. Und wenn Menschen die Lügen, die ihnen präsentiert werden, nicht glauben, können sie schnell zur Gefahr werden. Daher scheint es allzu oft, dass das Verteidigen der Zivilisation Massaker erfordert. Als das Vorbild für moderne Massaker, kann die Bekämpfung der Pariser Kommune im Jahr 1871 gesehen werden, bei der in den Straßen von Paris ungefähr 15.000 Menschen von der französischen Armee ermordet wurden. Dies führte dazu, dass der Politiker, der den Massaker verordnet hatte, verkündete, dass "der Sieg der Ordnung, Gerechtigkeit und Zivilisation endlich gewonnen" sei. Diese wichtige Arbeit vom Aufrechterhalten der Ordnung, Gerechtigkeit und Zivilisation leisteten auch die britischen Behörden in Indien an diesem Tag in April 1919, als die Bewohner Amritsars sich im Jallianwalla Bagh, ein von Mauern umrahmter öffentlicher Garten bzw. Park, versammelten, um die jüngsten Unterdrückungsmaßnahmen der britischen kolonialen Behörden zu protestieren. Der britische Militärkommandant, Oberst Reginald Dyer, brachte seine Truppen zum Jallianwalla Bagh, ließ sie alle Eingänge schließen und befahl ihnen, in die Menge zu schießen. Die Schießerei dauerte zehn Minuten, bis den Soldaten die Munition ausging. Sie hatten 1500 Menschen getötet und viele mehr verletzt. Später verkündete Dyer, dass er intendiert hatte, Schrecken unter der Bevölkerung zu verbreiten, um ihr damit zu signalisieren, dass sie sich der britischen Herrschaft nicht widersetzen sollte. Allerdings hatte es die gegenteilige Wirkung: der Massaker wurde zu einem wichtigen Katalysator für die indische Unabhängigkeitsbewegung. Südafrikas Apartheidstaat war mit einer ähnlichen Versammlung in Sharpeville im Jahr 1960 konfrontiert. Die Bewohner verstießen das Gesetz, welches von ihnen forderte, jederzeit ihre Ausweisdokumente mit sich zu führen, und versammelten sich ohne ihre Ausweisdokumente, in einem Akt zivilem Ungehorsam, vor der örtlichen Polizeistation, um selbst verhaftet zu werden. Daraufhin schoss die Polizei in die Menge und tötete 69 Menschen, wobei 10 von ihnen Kinder waren, und verletzte 180 weitere. Sharpeville war ein Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas. Es erweckte die Anti-Apartheid-Bewegung innerhalb des Landes sowie international. Der 21. März, welcher das Datum des Massakers war, ist heute der internationale Tag der Beiseitigung der rassistischen Diskriminierung. Die Liste der Massaker durch die Verteidiger der Ordnung, Gerechtigkeit und Zivilisation ist schlicht endlos, und viele davon nehmen einen Platz in unserem kollektiven Gedächtnis ein. Dazu gehören Nanking in 1937, My Lai in 1968, Soweto in 1976, Tiananmen-Platz in Peking in 1989… Und Gaza. Der Horror in Gaza begann in 1948/49, als eine Viertelmillion Palästinenser geflohen sind, bzw. von den Kräften des neu gegründeten israelischen Staates von ihren Dörfern vertrieben wurden. Ihre Dörfer wurden danach zerstört und von jüdischen Siedlern eingenommen. In Gaza war die Vertreibung vor allem deshalb so schmerzhaft, weil viele der Geflüchteten in den Flüchtlingslagern ihr Land jenseits der Trennlinie sehen konnten und beobachteten, wie die Siedler es einnahmen. Israel hält Gaza seit 2006 in einem Belagerungszustand. Lebensmittel, Benzin, Medikamente, Baumaterial und andere lebensnotwendigen Güter wurden gekürzt, oder der Zugang wurde völlig abgeschnitten. Dasselbe gilt für die Ausstattung, die dafür benötigt wird, das Trink- und Abwassersystem am Laufenden zu halten. Gaza ist im Grunde ein großes Gefängnis, ein Ghetto; einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt. Die Vereinten Nationen prognostizierten, dass die Infrastruktur, die die Menschen aktuell am Leben erhält, bis zum Jahr 2020 einen völligen Zusammenbruch erleiden wird. Israelische Politiker haben wiederholt verkündet, dass sie die Bedingungen so sehr verschlechtern möchten, dass die Menschen gezwungen sind, Gaza zu verlassen.Die Grausamkeit und der Zynismus dieser Kollektivbestrafung, welche laut internationalem Gesetz illegal ist, ist besonders ersichtlich, wenn man sich der Tatsache bewusst ist, dass es keinen Ort gibt, wo sie hingehen können. Jedoch gibt es durchaus einen Ort, wo sie hingehen können - in das Land, von dem sie vertrieben wurden. Tatsächlich heißt es im internationalen Gesetz unmissverständlich, dass Geflüchtete das Recht darauf haben müssen, zu ihrem Herkunftsort zurückzukehren. Das Problem ist aber, dass die Staaten, aus denen die sogenannte "internationale Gemeinschaft" besteht, nicht vorhaben, Israel dazu zu bewegen, die internationalen Gesetze einzuhalten. Viele Menschen, die immer verzweifelter werden, leben in Flüchtlingslager, welche sich häufig in unmittelbarer Nähe zum Land, von dem sie vertrieben wurden, befinden. Diese Realität verdeutlicht den außergewöhnlichen Mut, mit dem die unbewaffneten Palästinenser Gazas die stark bewaffneten israelischen Soldaten begegneten. Diese befanden sich in einer erhöhten Position und hinter einem großen Zaun in mehr als 600 Metern Entfernung, von wo aus sie die Palästinenser niederschossen. Die Welt hat zwar die Bedeutung dessen vergessen, aber es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Handlungen, die sie ergreifen, "The Great March of Return" (Der große Marsch der Rückkehr) genannt werden. Die Palästinenser versichern, dass sie ihr Recht darauf, in ihr Land zurückzukehren, niemals aufgeben werden. Die Massaker, deren Zeuge die ganze Welt ist, sind Israels gnadenlose Handlungen gegen seine Opfer. Mehr als 120 Palästinenser wurden getötet, mehr als 12.000 verletzt. Unter den israelischen Scharfschützen, die für diese Todesfälle verantwortlich waren, gab es keine Verletzungen oder Todesfälle. Und dennoch erzählt uns die israelische Propaganda, die von den "mainstream" Medien im Westen nachgeplappert wird, dass Israel im Rahmen seiner Selbstverteidigung handelt. Noch kommt es in Frage, dass einige der Todesfälle und Verletzungen unbeabsichtigt waren. Die israelischen Streitkräfte (IDF) berichteten selbst: "Nichts wurde unkontrolliert ausgeführt; alles war präzise und wir wissen, wo jede Kugel landete". Das ist kein leeres Geprahle. Israel hat eines der fortschrittlichsten Systeme für Überwachen, Angreifen und Töten. Sie wissen wahrhaftig, wo jede Kugel landet. Nichts, was sie tun, ist unbeabsichtigt. Dies wurde erneut am 19. Mai deutlich, als der kanadische Arzt Tarek Loubani von einem IDF Scharfschützen erschossen wurde. Loubani hatte darauf hingewiesen, dass in den vorangegangenen sechs Wochen kein einziger Sanitäter erschossen wurde. Denn alle Sanitäter trugen Uniformen, durch welche sie deutlich als Sanitäter zu identifizieren waren, und sich von den eigentlichen Protesten abhoben. Am 14. Mai erschoss und verletzte die IDF schließlich 19 Sanitäter. Kann irgendjemand daran zweifeln, dass dies beabsichtigt war und dass "nichts unkontrolliert ausgeführt wurde; alles präzise und durchdacht war, und wir wissen, wo jede Kugel landete" ? Eine weitere Sache, die die IDF berichtete, ist, dass einige palästinensische Protestierende Steine in die Richtung des Zaunes warfen. Menschen, die mehrere hunderte Meter in Entfernung standen, warfen Steine! Vor langer Zeit, so geht die Geschichte, begegnete ein mutiger Mann in diesem Land auch einer mächtigen, feindlichen Armee, ausgestattet mit nichts außer Steinen in seinen Händen. Trotz der schlechten Aussichten, war es letztendlich David, der sich gegen Goliath und seine Armee durchsetzte. Aber natürlich war dies ein anderer Fall, denn David war ein Israelit und daher ein Held, während die Palästinenser nun mal Palästinenser sind und daher nicht ganz Mensch, geschweige denn Helden... *** Die extremen und weit verbreiteten rassistischen Vorurteile gegen Palästineser sind der Grund für die Gleichgültigkeit und Feindseligkeit, gegen die Palästinenser und ihre Anhänger kämpfen müssen, um Unterstützung und Sympathien für ihr Anliegen zu gewinnen. Menschen, die von sich behaupten, die höchsten moralischen Prinzipien zu haben, vergessen ihre moralische Prinzipien, sobald es um Palästinenser geht. Tatsächlich besteht der einfachste Weg, zu prüfen, ob sogenannte moralische Prinzipien in der Tat moralische Prinzipien sind, darin, das Wort "Palästinenser" mit "Jude" zu ersetzen, wenn eine Situation oder ein Ereignis beschrieben wird. Nehmen wir an, dass es 1,75 Millionen Juden sind, die jahrzehntelang in einem Ghetto gefangen sind, in dem sich die Bedingungen zunehmend verschlechtern. Nehmen wir an, dass die Besatzungsmacht, die die Juden einsperrte, ihre Häuser systematisch zerstörte, ihnen den Zugang zu sauberem Wasser und Medikamenten verweigerte und sie jedes Mal, wenn sie sich versammelten, um zu protestieren, niederschoss. Können wir uns vorstellen, dass die "Weltgemeinschaft" tatenlos zusehen und die Besatzungsmacht unterstützen würde? In der Tat gibt es eine historische Parallele zu der Situation in Gaza. Im Jahr 1943 erhoben sich die Bewohner des Ghettos in Warschau gegen die Besatzungsmacht, indem sie nicht bloß Steine, sondern auch Waffen und Granaten nutzten. Verurteilen wir sie nun dafür, dass sie zu Gewalt griffen, als sie sich in einer solchen Situation befanden? Oder bewundern wir ihren Mut? Und wie beurteilen wir die Soldaten, die diesen Aufstand niederschlugen, und ihre Vorgesetzten, die ihnen diese Befehle gaben? Was unterscheidet diese Soldaten, moralisch gesehen, von den IDF Scharfschützen, die unbewaffnete Protestierende niederschießen, und dann vor laufender Kamera ihre Tötungen feiern? Und wie beurteilen wir die Zivilbevölkerung Israels, von denen viele die Soldaten, die die Palästinenser ermorden, offen unterstützen und anfeuern? Und was können wir über die Regierungschefs von Ländern wie Kanada oder Deutschland sagen, die lächelnd Geschäfte mit Beamten der israelischen Regierung schließen, während im selben Moment Palästinenser ermordet werden? Wir sollten uns mit diesen Fragen auseinandersetzen. In dieser Ausgabe von Other Voices, versucht Connexions einige Stimmen - und Bilder - aus Palästina, vor allem aus Gaza, zu präsentieren. Bedenkt ihren Mut, hört ihnen zu und überlegt, was ihr tun könnt, um ihnen zu helfen. - Ulli Diemer |