Wer also in einer freien und gerechten Gesellschaft leben will, kann sich dabei nicht auf den Staat verlassen. Selbst Maßnahmen die ein Vorteil für die Bürger bieten sind oft ein zweischneidiges Schwert. Zum einen steigt der Einfluss vom Staat auf die Gesellschaft, zum anderen bringen neue Regelungen meist zusätzliche Einschränkungen, deren Auswirkungen schwer abzusehen sind.
Rechte und Freiheiten
Die Zeitschrift Spacing beschäftigt sich hauptsächlich mit dem städtischen Leben in Toronto und bis jetzt habe ich immer gerne darin gelesen. Die Artikel sind abwechslungsreich und meist gut geschrieben, die Fotos und Illustrationen sind exzellent und die politischen Artikel sind progressiv. Spacing ist für die Rechte der Radfahrer und Fußgänger und gegen die Privatisierung von Regierungsaufgaben.
Mit diesen Werten und Themengebieten kann ich mich im Allgemeinen gut identifizieren. Der Artikel “Creating a Sense of belonging” in der Frühjahrsausgabe über eine Aktivisten, die eine Auszeichnung für soziales Engagement bekommen hat, hat mir allerdings überhaupt nicht gefallen. Es geht mir nicht darum diese Aktivistin in irgendeiner Weise schlecht zu machen. Ich bin mir sicher, dass sie ernsthaft darum bemüht ist, ihrer Gemeinde zu helfen. Ihre Vorstellungen kann wohl jeder nachvollziehen, was mich daran stört ist, dass diese Forderungen so unkritische übernommen werden.
Hiernach müssen wir es den unterschiedlichen “Gemeinschaften” ermöglichen sich “zugehörig” zu fühlen.
Um zu verdeutlichen was sie meint: In ein Treffen der Gemeinde bei dem ein Mann auf Panschabi darüber berichtete, dass seine Freunde und er den Park nur bis 17 Uhr nutzen könnten da um diese Zeit die angrenzende Bücherei und damit die Sanitären Anlagen schließen würden. Es war ihr Vorschlag der anwesenden Stadträtin von diesem Problem zu berichten. Die Stadträtin versprach sich darum kümmern.
Dem Organisator zufolge war dies ein Gewinn an Einfluss für den Mann, der dieses Anliegen vorgebracht hatte, weil ihm so deutlich geworden ist, dass man keine Englisch sprechen muss um etwas verändern zu können. Ihre Schlussfolgerung hieraus verdeutlicht angeblich das Problem, “dass die Pluralität der Gesellschaft mit sich bringt...” “Das Problem ist nicht, dass sich die Menschen nicht einbringen sondern, dass sie nicht da sind wo sie sich einbringen können.” Sie meint, dass sich die Einwanderer in Moscheen, Gemeindezentren, Parks und Zuhause über Politik unterhalten. Dem Organisator nach sei die anwesende Politikerin “eine sehr nette Person gewesen, doch was nützt, wenn sie die Sprache der Wähler nicht versteht.” “Anstatt von dem Menschen zu erwarten, dass sie sich beteiligen, sollten die Politiker nach Orten suchen an denen sich die Leute treffen und ihnen in ihrer eigenen Sprachen zuhören. Ich weiß, dass es schwierig ist aber das ist nun einmal die Herausforderung der Pluralität. Aber nur auf diesem Weg können wir erreichen, dass sich die Einwanderer und Flüchtlinge zugehörig fühlen können.”
Wir waren wohl alle schon mal in einer Situation in der wir verzweifelt versucht haben eine öffentliche Toilette zu finden und wir würden es auch sicher alle begrüßen, wenn es mehr davon gäbe.
Aber worum geht es bei diesem Zugewinn an Einfluss? Einem Politiker von einem verschlossenem WC zu erzählen und das Versprechen zu bekommen, dass man etwas dagegen unternommen werde?
Was für ein Model von Pluralismus wird hier von so vielen unterstützt? Die drei Millionen Einwohner von Toronto sprechen über 100 Sprachen; Die Informationen auf der städtischen Internetseite sind in 140 Sprachen übersetzt. Glauben wir tatsächlich, dass es möglich oder wünschenswert sei die Politiker in die tausenden von Kirchen, Moscheen, Tempel und Synagogen; Gemeindezentren, Parks und Haushalte zu schicken um sich anzuhören was die Menschen zu sagen haben und das alles noch in der jeweiligen Muttersprache der Einwanderer?
Diese Idee ist so abwegig, dass wohl nicht einmal die Leute, die diesen Vorschlag machen daran glauben können. Was wohl tatsächlich damit gemeint ist, dass diese Gemeinden einen Fürsprecher brauchen der fließend Englisch spricht und den Politikern die Anliegen der Gemeinschaft mitteilen kann. Es würden auch nur die Repräsentanten der jeweiligen Gemeinden an Einfluss gewinnen.
Ich will die Arbeit dieser Aktivisten und Organisationen nicht schlecht machen oder deren Motive in frage stellen. Nur die Art und Weise scheint mir etwas fragwürdig. Wie können die Menschen mehr Einfluss nehmen, wenn sie die Landessprache nicht sprechen? Hier im Englisch sprechenden Teil Kanadas wird nun einmal überall Englisch gesprochen; in der Politik, in der Wirtschaft in den meisten Medien und an den Universitäten. Wie kann man von mehr Einflussnahme und dem Gefühl von Zugehörigkeit reden und zur gleichen Zeit dafür eintreten, dass die Bürger kein Englisch lernen müssen oder brauchen. Dieses Modell fördert eher das Gegenteil von dem was es bewirken soll. Es schränkt den Einfluss der Menschen ein und entfernt sie voneinander.
Um jedoch eines klarzustellen: Es ist Sehrwohl wünschenswert, dass auch Menschen die kein Englisch sprechen, Leistungen des Staates in Anspruch nehmen können. Ich bin froh darüber, dass das die städtische Webseite in 140 Sprachen übersetzt wurde. Ich bin froh darüber, dass es übersetzer gibt, die den Menschen helfen sich im Gesundheits- und Rechtssystems zurechtzufinden. Ich genieße es, in einer Stadt zu leben in der Menschen aus aller Welt zusammen leben.
Ich glaube, dass diejenigen, die für diese geschlossenen “Gemeinden” mit ihren eigenen Sprachen eintreten mehr Schaden anrichten als sie nutzen. Sie treten dafür ein, dass sich die Menschen in der Gesellschaft weiter voneinander entfernen anstatt zusammenfinden.
Sie mögen gute Vorsetzte haben, tatsächlich aber schränken sie den Einfluss dieser Minderheiten weiter ein und hält die Menschen in der Abhängigkeit der kleinen religiösen und ethnischen Gemeinschaften. Man kommt auch nicht umhin zu bemerken, wie sich die Befürworter dieses Modells nicht auf sich anwenden; sie haben Englisch gelernt und warten nicht darauf von Politiker besucht zu werden, sondern gehen dorthin wo Politik gemacht wird und bringen sich ein, auf Englisch.
In der Wirklichkeit haben Menschen in Gesellschaften, die in solche Gemeinden unterteilt sind, weniger Einfluss. Bei dem gemachten Vorschlaegen geht es um nichts weiter als um Lobbyarbeit für die jeweiligen Gemeinden. Wenn man nur kurz darüber nachdenkt wird schnell klar, wie engstirnig diese Vorstellung ist und ausserdem eine Herabwürdigung von dem, was es heißt ein Bürger zu sein.
Echter Wandel kann nur zustande kommen, wenn Menschen zusammenarbeiten weil sie dieselben Ziele haben, unabhängig von Herkunft oder Religion. Es gibt etwas das viele Einwanderer und Arbeiter die in Kanada geboren sind gemeinsam haben: geringes Einkommen und schlechte Arbeitsbedingungen. Der Arbeiterbewegung ist es zu verdanken, dass sich die Arbeiter zusammengeschlossen haben um für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen. Die Arbeitgeber haben hingegen versucht die Gemeinschaft der Arbeiter zu spalten und deren Unterschiedlichkeit hinsichtlich Herkunft, Sprache oder Religion zu betonen. Mit wem hat ein Arbeiter mehr gemeinsam? Einem ausbeuterischem Arbeitgeber, der derselben Herkunft oder Religion oder mit anderen Arbeitern anderer Herkunft oder Religion, aber ebenso ausgebeutet wird.
Die Harper-Regierung ist damit beschäftigt den Naturschutz und die grünen Technologien zu sabotieren, möglichst viele Regierungsaufgaben an private Unternehmen abzugeben, die Globalisierung der Wirtschaft voranzutreiben und die Bush-Regierung der USA bedingungslos zu unterstützen.
Kann man darauf warten, dass ein Politiker in die eigene Gemeinde kommt um sich unsere Probleme anzuhören und uns dann verspricht, dass er versucht etwas zu tun?
Aber Spaß bei Seite. Wann haben Leute die an der Macht sind, ob Politiker oder Geschäftsführer, sich jemals ernsthaft die Probleme der Menschen angehört und dann versucht sie, entgegen der eigenen Interessen, zu lösen? Wann haben die Machthaber sich jemals danach gerichtet was die Menschen wollen, außer nach Massenprotesten oder wenn sie direkt konfrontiert worden sind?
Da ich selbst ein Einwanderer bin, finde ich es geradezu beleidigend, wenn einige Leute behaupten, dass wir nur an politischen Themen interessiert sind, die unsere eigenen Gemeinschaften betreffen. Als Atheist und Säkularist gefällt mir der Gedanke nicht besonders, dass sich die Politik auf die Religionsgemeinschaften zubewegen soll. Als Sozialist der gegen den Kapitalismus kämpft, bin ich nicht besonders beeindruckt von Leuten die denken dass sie an Einfluss gewonnen haben, nur weil ihnen versprochen wird eine öffentliche Toilette länger geöffnet zu halten.
Ich denke, dass wir eine Vision brauchen, die Menschen zusammen bringt um für wirkliche Veränderungen zu kämpfen anstatt einer Vision in der die Menschen getrennt voneinander in isolierten Gemeinschaften leben.
10. August 2008
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