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In a Direct Line - Photo von Ulli Diemer

Zehn Mythen über das Gesundheitssystem:
Hintergründe über die gesetzliche Krankenversicherung in Kanada

Von Ulli Diemer



Eine Übersicht über das kanadische Gesundheitssystem im Vergleich mit dem der USA.

"Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung: elegant, plausibel und falsch".

— H.L. Mencken

 

Die staatliche Krankenversicherung ist eine kanadische Erfolgsgeschichte. Nicht perfekt, aber gut genug um von einem Großteil der restlichen Welt darum beneidet zu werden.

Heutzutage halten es die Kanadier für Selbstverständlich, dass sie medizinische Versorgung erhalten, wenn sie Krank werden und das ohne finanzielle Hürden. In einem Land in dem sie alles was sie machen mit dem Vergleichen, was südlich der Grenze passiert. Sie sind überrascht und zufrieden zu sehen, ein Gesundheitssystem haben, das bessere Versorgung mit besseren Ergebnissen für einen wesentlich höheren Teil der Bevölkerung liefert, als in den Vereinigten Staaten.

Mit diesen Fakten konfrontiert, führte einige der Meinungsmacher und die Medien zu einer leicht vorhersehbaren Schlussfolgerung: Das kanadische Gesundheitssystem steckt in der Krise, bestenfalls schwer angeschlagen, wenn nicht sogar auf dem Sterbebett.

Die Luft steht vor Prophezeiungen von drohendem Unheil und vor Forderungen nach drastischen Veränderungen. Die ganze Debatte wird inzwischen sehr ideologisch geführt, in der es mehr um grundsätzliche politische und ökonomische Standpunkte geht als um tatsächliche Erkenntnisse und um Mythen in den Medien als Fakten präsentiert werden.

Es folgt eine kurze Beschreibung der 10 am weitesten verbreiteten Mythen über das kanadische Gesundheitssystem.


Mythos Nr. 1: Die Ausgaben sind außer Kontrolle.

Tatsache ist: Die Ausgaben für das Gesundheitssystem werden tatsächlich streng kontrolliert. So sind die Ausgaben nicht einmal im selben Maße gestiegen, wie das Bevölkerungswachstum und haben sich auf ca. 9% des Bruttonationaleinkommens eingependelt.

In den 24 Jahren nach 1971, als die Gesundheitsversorgung verstaatlicht wurde, stiegen die Ausgaben von 7,5% auf 9% des Bruttonationaleinkommens. Der Grund für den Kostenanstieg der 1980er Jahren waren nicht die steigenden kosten der Gesundheitssystems allgemein, sondern wurden verursacht durch die schwächere Wirtschaft nach zwei schweren Rezessionen und die Einführung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens. Wäre das Bruttonationaleinkommen nicht gesunken würde die Kanadier, bis zum heutigen Tag, immer noch nicht mehr bezahlen als die 7,5% in 1971.

Wenn man über die Kosten der Gesundheitsversorgung diskutiert darf man nicht vergessen, dass nur 72% der Gesamtkosten vom kanadischen Staat getragen werden, also weit weniger als die 80%, die die andern OECD im Durchschnitt bezahlen. Die schnell wachsenden Ausgaben sind allerdings nicht die, die von der öffentlichen Hand getragen werden, sonder die des privaten Sektors, sowie Medikamente und zahnmedizinische Leistungen.

Mythos Nr. 2: Kanada kann sich das momentane System nicht mehr leisten, es müssen zusätzliche Gebühren eingeführt werden.

Tatsache ist: Es ist völlig absurd vorzuschlagen, dass es die Lösung für zu hohe kosten sei, die Preise weiter anzuheben. Zusätzliche Gebühren reduzieren nicht, sondern erhöhen die Kosten. Ob Steuern, Gebühren oder Versicherungsbeiträge, das Geld kommt immer aus derselben Tasche.

Der wahre Vorteil besteht jedoch darin, wenn man es von der Seite der Befürworter betrachtet, dass die zusätzlichen Gebühren die Armen von der Gesundheitsversorgung fernhalten. Wenn den Armen Menschen die medizinische Versorgung verweigert wird, dann müssen diejenigen, die nicht arm sind auch nicht für deren Versorgung aufkommen.

Als die Provinz Saskatchewan in den 1970er Jahren unter der liberalen Regierung zusätzliche Gebühren einführte, gingen Menschen aus den niedrigen Einkommensklassen um 18% weniger zum Arzt.

Trotzdem stiegen die Gesamtkosten, da das System anders genutzt wurde, so gaben Ärzte mehr Untersuchungen und Folgetermine an Patienten, die über mehr Einkommen verfügten.

Dies führte schließlich dazu, dass mehr Geld für die Versorgung von weniger Leuten ausgegeben wurde.

Mythos Nr. 3: Menschen die das System ausnutzen sind einer der Hauptgründe für steigende Kosten.

Tatsache ist: Patienten schreiben weder ihre eigenen Rezepte, ordnen Test an, "buchen" eine Reihe von Terminen, noch weisen sie sich selber ins Krankenhaus ein. Normalerweise gehen Menschen zum Arzt, wenn sie glauben, dass irgendetwas mit ihnen nicht in Ordnung ist und nicht weil es ihnen so viel Spaß bereitet stundenlang im Wartezimmer zu sitzen.

Mythos Nr. 4: Staatliche Gesundheitssysteme sind zu bürokratisch und ineffizient. Die Einführung eines privaten Gesundheitssystems und der dadurch entstehende Wettbewerb würden das System effizienter machen.

Tatsache ist: In allen OECD Ländern mit privater Gesundheitsversorgung hat sich gezeigt, dass das private Gesundheitssysteme viel bürokratischer und ineffizienter sind als staatliche.

Obwohl das Gesundheitssystem in den USA zu größeren Teilen privatisiert ist, als in allen anderen Staaten der OECD kostet es den Staat 14% des Bruttonationaleinkommens, wohingegen es in Kanada nur 9% sind.

Die Verwaltungskosten der USA betragen 911$ pro Person und Jahr. Im Vergleich dazu zahlt der Staat in Kanada im selben Zeitraum nur 270$.

Diese Unverhältnismäßigkeit an Fixkosten wird noch deutlicher: die Versicherungskosten betragen pro Kopf $212 in den USA und nur $34 in Kanada. Die Blue Cross/Blue Shield of Massachusetts Versicherung, als typischer großer Versicherung, beschäftigt 6680 um 2,5 Millionen Kunden zu verwalten, das sind bereits mehr Leute, als in Kanada nötig sind um alle 28 Millionen versicherten Kanadier zu verwalten.

Als Deutschland vor kurzen die zahnmedizinische Versorgung aus der gesetzlichen Krankenkassen strich, stiegen die kosten von 5% auf 15%, also um das dreifache an.

Mythos Nr. 5: Amerikaner zahlen mehr für medizinische Versorgung, aber dafür ist die Versorgung auch besser.

Tatsache ist: Studien haben gezeigt, dass Kanadier die benötigte Behandlung im Durchschnitt schneller bekommen als Amerikaner. Kanadier gehen öfter zum Arzt, kriegen mehr Impfungen, werden öfter ins Krankenhaus eingewiesen, und werden öfter operiert. Umfragen in 10 OECD Staaten haben gezeigt, dass die Kanadier am zufriedensten und die Amerikaner am unzufriedensten mit ihrer Gesundheitsversorgung sind. Für Kanadier ist es mehr als fünf Mal so wahrscheinlich mit ihrer Versorgung zufrieden zu sein verglichen mit den Amerikanern.

Kindersterblichkeit, Müttersterblichkeit und Lebenserwartung waren niedriger in den USA bevor Kanada sein Gesundheitssystem eingeführt hat. Heute beträgt die Kindersterblichkeit in Kanada nur 70% von der in den USA und die Wahrscheinlichkeit bei der Geburt zu sterben ist bei amerikanischen Müttern fast doppelt so hoch. Zudem leben die Kanadier im Durchschnitt zwei Jahre länger ihre amerikanischen Nachbarn.

Mythos Nr. 6: Private Kliniken würden ihre Leistungen mehr Menschen zugänglich machen und so das öffentliche System entlasten.

Tatsache ist: Private Krankenhäuser beziehen Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Private Krankenhäuser bevorzugen besser situierte Patienten, wobei die öffentliche Hand den größten Teil der Rechnung übernimmt.

Da die privaten Kliniken sowohl von ihren Patienten bezahlt werden, als auch noch zusätzliche Leistungen über das gesetzliche System abrechnen, verdienen die Ärzte in diesen Kliniken erheblich mehr. So versuchen diese Ärzte also möglichst viele Patienten in einer privaten Einrichtung zu behandeln. Während sie sich mehr und mehr aus den öffentlichen Praxen und Kliniken zurückziehen, werden die Wartelisten hier länger, was die Leute, die es leisten können zunehmend in den privaten Sektor lockt.

Solange die wohlhabenden Patienten ihre Behandlung durch das selbe System bekommen, wie alle anderen auch werden sie auch verlangen, dass die Versorgung erstklassig ist. In einem Zweiklassensystem, wären die besser gestellten Patienten nicht länger abhängig von der öffentlichen Versorgung und würden so das Interesse an deren Qualität verlieren. Stattdessen verlangen sie, dass ihre Steuern reduziert werden, worunter die Verfügbarkeit und die Qualität der Leistungen leiden würden.

Mythos Nr. 7: Wir können Geld sparen, wenn wir ums mehr auf "Community Care" verlassen und weniger auf große Einrichtungen.

Tatsache ist: Community Care ist meist ein anderer Begriff für das einstellen der Versorgung. Als Ontario in den 1980er Jahren psychiatrische Einrichtungen schloss um die Patienten in die Pflege der Gemeinde zu übergeben, führte dies dazu, dass viele einfach auf der Straße landeten, ohne die Bereitstellung von Wohnungen oder jeglicher Unterstützung.

Community Care für gebrechliche Senioren und Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung ist die höfliche art den Familien zu sagen, dass sie sich selbst für die Pflege aufkommen müssen, weil das Gesundheitssystem nicht mehr zuständig ist.

Die Pflege außerhalb der Einrichtungen ist nicht billig. Es mag häufig besser sein für die Patienten im Haus gepflegt zu werden, es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass es auch billiger ist, wenn die Pflege von qualifiziertem Personal durchgeführt wird. Es ist wahrscheinlich sogar teurer. Ein Arzt kann eben mehr Patienten empfangen, wenn diese zu ihm kommen als umgekehrt.

Mythos Nr. 8: Anstelle unseres Systems, die Kranken zu behandeln, sollten wir zu einem System übergehen indem wir uns mehr auf die Prävention und das Wohlbefinden der Menschen konzentrieren.

Tatsache ist: Menschen neigen dazu zum Arzt zu gehen, wenn sie sich krank fühlen und nicht um sich Lektionen in Sachen gesunder Ernähren und mehr Sport anzuhören, oder darüber, dass sie aufhören sollten zu rauchen.

Vorsorge ist gut und schön, aber mal abgesehen von einigen Standarduntersuchungen, wie Schwangerschaftsvorsorge, Sehtests, Impfungen und Pap-Abstriche, sind die meisten Dinge, die langfristig zu einer guten Gesundheit beitragen nicht beim Arzt zu bekommen.

Die bestimmenden Faktoren für Gesundheit und Krankheit wurden von unzähligen epidemiologischen Studien ermittelt. Schlechte Ernährung, besonders in der Schwangerschaft, Armut, schlechte Wohnverhältnisse und Stress in der Familie sind einige von den Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik kann sicher dazu beitragen das Problem in den Griff zu bekommen, es fragt sich nur wie das Gesundheitssystem diesen Leuten helfen soll, auch wenn der Name in "Wohlfühlsystem" umgewandelt wird.

Mythos Nr. 9: Es ist kein Geld da. Die Regierung kann es sich nicht mehr leisten allen Kanadiern qualitativ hochwertige, medizinische Versorgung zu finanzieren.

Tatsache ist: Die Finanzmittel verschwinden nicht aufgrund von Naturgewalten aus dem System, sondern durch bewusste Entscheidungen der Regierung. Massive Kürzungen der Bundesmittel, seit den 1980er Jahren, sind tatsächlich schlecht für das Gesundheitssystem und die Sozialen Programme. Der Anteil mit der sich der Bund an allen sozialen Programmen beteiligt wird bis 2005 weiter reduziert und dann ganz gestrichen. Das Resultat hiervon ist eine gesteigerte finanzielle Belastung der Provinzregierungen und wird schließlich dazu führen, dass einige Provinzen anfangen werden das bestehende System aufzuweichen und durch ein Zweiklassensystem zu ersetzten.

Mythos Nr. 10: Das Staatsdefizit macht Kürzungen unausweichlich.

Tatsache ist: Das Staatsdefizit ist das Resultat von bewusst getroffenen Entscheidungen. In den Steuerreformen von der Trudeau und Mulroney Regierung wurden die Steuern für besser gestellte Personen und Unternehmen deutlich gekürzt. Um dieses Defizit von Milliarden an Dollars an Einnahmen auszugleichen musste sich die Regierung Geld von denjenigen leihen, die von den Steuererleichterungen Profitiert haben und das bei relativ hohen Zinsen. Wenn die Regierung wirklich einen Ausweg aus dem Staatsdefizit suchen würde, dann müssten sie die Steuererleichterungen der 1970er und 1980er wieder rückgängig machen.



Quellen

1. Evans, Robert G., Barer, Morris L., Stoddart, Greg L., Bhatia, Vandna. Who Are the Zombie Masters, and What Do They Want? The Premier’s Council on Health, Well-being and Social Justice. Juni 1994.

2. Himmelstein, David U., Woolhandler, Steffie. The National Health Program Book: A Source Guide for Advocates. Common Courage Press. 1994.

3. Stoddart, Greg L., Barer, Morris L., Evans, Robert G., Bhatia, Vandna. Why Not User Charges? The Real Issues. The Premier’s Council on Health, Well-being and Social Justice.


Zuerst veröffentlicht in Parliamentary Names & Numbers 1995.

Also available in English Ten Health Care Myths.
Aussi disponible en français: 10 mythes des soins de santÉ.
También disponible en español: Diez Mitos del Cuidado de la Salud.
Also available in Chinese.
Also available in Vietnamese.


Stichwörter:
Gesundheit - Kanada